Verdacht von Botulismus bei Rindern aufgrund der Anwendung von Gärprodukten?


Der Fall eines Milchviehalters aus Niedersachsen hatte bundesweit Wellen geschlagen und für hitzige Diskussionen gesorgt. Der Landwirt kämpft seit 2001 in seinem Milchviehbestand mit einer chronischen und sehr verlustreichen Erkrankung von Tieren, deren Ursache bis heute nicht endgültig geklärt werden konnte.

Die Symptome sind vielfältig: massive Stoffwechsel- und Fruchtbarkeitsprobleme, Apathie, Rückgang von Futteraufnahme und Leistung, Labmagenverlagerungen und Totgeburten. Ähnliche Berichte kommen aus Mecklenburg-Vorpommern und auch aus anderen Bundesländern. Viele Wissenschaftler und Tierärzte stehen dem Krankheitskomplex noch ratlos gegenüber.

Schnell bei der Hand war allerdings Professor Helge Böhnel mit einer Diagnose, die er auch gleich der Öffentlichkeit vorstellte. Der Wissenschaftler der Universität Göttingen behauptet, dass es sich bei den Bestandproblemen um eine neuartige Form des Botulismus, dem so genannten „viszeralen“ Botulismus handelt. Dabei werde das Toxin vom Bakterium Clostridium botulinum im Gegensatz zum klassischen Botulismus erst im Darm der Tiere (viszeral) gebildet und sorge dort schleichend für eine Infektion.

Als Ursachen für die Darminfektion kommen für Böhnel neben verdorbener Silage und Geflügelkot auch die Ausbringung von Kompost, Klärschlamm oder von Gärrückständen aus Biogasanlagen in Frage. Letzteres wurde von einem Tierarzt vor Ort aufgegriffen, der den Verdacht äußerte, dass die Infektionen durch die von einer Biogasanlage ausgebrachten Gärrückstände verursacht worden sein könnten. Und das ARD Fernsehen titelte in einem gleich reißerischen Beitrag: „Tote Rinder, kranke Menschen: Wie gefährlich ist das Bakterium C. botulinum?“

Mit seiner Theorie des „viszeralen“ Botulismus steht Böhnel in der Wissenschaft nun aber ziemlich allein da. Das Krankheitsbild ist wissenschaftlich nicht gesichert, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung. Die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG) schließt zwar nicht aus, dass es einen viszeralen Botulismus gibt – bewiesen sei dies jedoch nicht. „Die meisten Wissenschaftler schätzen dieses Thema als nicht sehr relevant ein. Sie waren daher bislang auch nicht bereit, ihre Forschungsanstrengungen darauf zu konzentrieren“, so Professor Klaus Doll, Leiter der DVG-Fachgruppe Rinderkrankheiten.

Obwohl auch an den Rinderkliniken der Universität von Berlin und Hannover keine Forschung zum Thema betrieben wird, sind sich dort die Wissenschaftler ebenfalls einig, dass es keinen viszeralen Botulismus gibt. Begründung: Der Nachweis von Botulinum-Toxin im Darm reiche als Beleg für eine neuartige Erkrankung nicht aus, weil der Erreger Clostridium botulinum überall vorkomme.

Dass die Fütterung als Wegbereiter für den Krankheitskomplex eine große Rolle spielen kann, streitet keiner ab. Fütterungsberater und praktische Tierärzte diskutieren schon seit einiger Zeit über die mangelhafte Qualität des Grundfutters als Hauptursache. „Durch die hohe Schlagkraft bei der Silierung und den Einsatz des Futtermischwagens werden qualitativ bedenkliche Futterpartien wie z.B. Schimmelnester in der ganzen Hede verteilt und können dann in ganzen Tierbeständen zu Problemen führen.

Insbesondere bei Regen sollte die Schnitthöhe angepasst werden, da die Grashalme im unteren Bereich oft schon verpilzt sind. Wachsende Betriebe denken auch oft nicht daran, mit dem neuen Stall auch die Siloplätze zu erweitern, so wird das Silo immer höher und der Vorschub reicht nicht aus. Nacherwärmung mit Schimmelbildung ist damit vorprogrammiert.

Auch beim Mähen getötete Rehe und Kitze gelangen z. T. in die Silage und bilden dort Infektionsherde. Da tierisches Eiweiß im Siliergut immer noch als die Hauptursache für den klassischen Botulismus gilt, müssen Wild- und Nagetiere im Mähgut unbedingt vermieden werden. Technische Lösungen an den Mähwerken wie Sensoren sind leider immer noch nicht praxisreif, moniert die Fachzeitschrift TOP-Agrar in diesem Zusammenhang in ihrer Ausgabe 4/2007 völlig zu recht.

Eingeschaltet in die Diskussion hat sich auch das Landeslabor Brandenburg in Potsdam, welches auf dem Gebiet der Botulismusforschung als internationale Kapazität gilt. In einer Antwort auf den o. g. Beitrag der ARD haben Prof. Dr. Körber und Dr. med. vet. habil. Köhler, der Leiter des Konzilliarlabors für Clostridien, u. a. folgendes festgestellt:

„Dem Krankheitsbild Botulismus wird schon seit langer Zeit besondere Bedeutung in der veterinärmedizinischen Diagnostik gewidmet und unserer Landesuntersuchungseinrichtung ist seit mehr als 30 Jahren auf diesem Gebiet wissenschaftlich tätig.

Botulismus ist eine fortschreitende Intoxikation durch die Neurotoxine von Clostridium botulinum. Die Vergiftung beginnt mit der Lähmung der Schluck-, Kau- und Augenmuskeln. Im zweiten Satz der o. g. Sendung „Sie (die Kuh) hat Lähmungserscheinungen, Verdauungsstörungen, gibt kaum noch Milch und magert ab, obwohl sie fressen kann“ wird klar, dass das aufgetretene Krankheitsbild bei den Rindern des Landwirtes nichts mit Botulismus zu tun hat.

Die auf dieser Fehldiagnose aufbauenden Darlegungen sind weitgehend spekulativer Art. Weitere Erörterungen dürfen wir uns ersparen. Clostridien einschließlich Clostridium botulinum sind weltweit verbreitet und als natürlicher Bestandteil der Bodenmikroflora an der Zersetzung organischer Substanzen beteiligt. Die pathogene Wirkung des Erregers beruht auf dem Toxin, dessen Bildung an spezifische Bedingungen gebunden ist. In der Regel wird das Toxin in der Umwelt bzw. im Lebensmittel gebildet und oral aufgenommen. Der Erreger ist an der Umwelt angepasst. Seine optimale Temperatur liegt bei 20-30°C. Die Aufnahme des Erregers mit dem Futter ist deshalb, von Ausnahmesituationen abgesehen, ungefährlich. Im Verdauungskanal kann er sich nur unter sehr seltenen Ausnahmebedingungen, wie bei dem in der Sendung erwähnten „Infant Botulismus“ der Kleinstkinder, ansiedeln und Toxine bilden.

Für die Diagnoseerstellung des Botulismus reicht der Nachweis des Erregers bzw. seines Toxinplasmids im Verdauungskanal nicht aus. Sein Nachweis beim Tier widerspiegelt nur die weite Verbreitung des Erregers in der Umwelt. Es handelt sich um diagnostische Grundlagenkenntnisse, die für viele Infektionskrankheiten zutreffen. Das seit einigen Jahren von Prof. Böhnel auf der Grundlage diese Befunde kreierte Krankheitsbild des „Visceralen Botulismus“ ist unbewiesen.

Herr Prof. Helge Böhnel hat auch andere Krankheitsbilder und insbesondere den „Plötzlichen Kindstod“ von Babys mit ähnlichen diagnostischen Befunden auf Botulismus zurückgeführt. Hierzu gab es 2001 eine gemeinsame Konferenz von Vertretern der Human- und Veterinärmediziner in Münster, auf der die Thesen von Herr Prof. Böhnel zum Botulismus als Ursache des plötzlichen Kindstods widerlegt wurden und er verwarnt wurde, mit ungenügend gesicherten Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen.“

In 2001 hatte Prof. Böhnel auch schon einmal einen „Kompost-Alarm“ ausgelöst. Dort hatte er die Biotonne und deren Kompostierung als potentiellen Verursacher von Botulismus ins Visier genommen. Der Ausgang der Geschichte war vergleichbar mit dieser. Die Bundesgütegemeinschaft Kompost hatte seinerzeit umfangreiche Recherchen und Untersuchungen veranlasst und in einer Stellungnahme zusammengefasst, die unter www.kompost.de (Rubrik Info-Dienst/Info/Humuswirtschaft/01-1-015) noch eingesehen werden kann. (KE)

Quelle: H&K 1/2007, S .72

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